Mittwoch, 20. April 2011

Buch oder Blog?

„Bring doch mal ein Buch raus. Ich würds kaufen“, schrieb mir Blick am Abend-Leser Jonathan. Ich weiss ja nicht recht, dachte ich. Da müsste sich erst mal ein Verlag für bescheuerte Pendler-Dialoge interessieren. Doch dann kam schon ein weitaus realistischerer Vorschlag: „Mach doch einen Blog mit deinen Kolumnen! Fürs Archiv!“ schlug Leser Danilo vor. Oho. Ein Blog. Die Idee liess mich nicht mehr los. Und darum machte ich noch gestern Nacht einen Anfang. Ihr findet auf katjawalder.blogspot.com ab sofort erstmal jene Kolumnen, mit denen alles seinen Anfang nahm: Die Leserkolumnen aus dem Sommer 08, mit denen ihr mich einen Monat lang weitergewählt habt. Da gibt’s ein Wiedersehen mit allen: Mit Hans (75), dem wandernen Herzensbrecher in Knickerbockern (er sucht heute noch eine Frau…), mit Frau Schaub, die mir auf den letzten Drücker ein mintgrünes Bad inklusiv dazugehörige Wohnung vermieten wollte („Die hat ja wohl einen Knick in der Fichte“) und natürlich mit der Selecta-Taste 13, als sie noch für Kinderschokolade stand und mir so oft das Leben rettete.

Leseanleitung: Wer die Leserkolumnen chronologisch lesen will, der Scrolle ganz nach hinten und beginne dort von hinten nach vorne zu lesen. Die neuen Kolumnen folgen nadisna

Dienstag, 19. April 2011

11. August 2008: Ihr habt mich definitiv reingewählt!

99,8 Prozent der Leser wünschen einen Blick am Abend- Job für Katja Walder! 

Nach einigen Tagen Pause ging es am 28. 8. mit meinen Kolumnen weiter - nicht mehr in der Leserkolumne, sondern als "abgefahren" - zuerst auf der Zürich-Seite, dann auch in den anderen Regionalseiten. 

8. August 2008: Post von Hans Kaspar, dem Freundlichen

90 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Einstecken. Einloggen. Lossurfen. Und schon wird die S8 zum Büro. «Liebe Kolumne-Redaktion», steht da in einem weitergeleiteten Mail aus der Blick am Abend-Redaktion. Geschrieben von Leser Hans Kaspar S. Dieses Mail richtet sich also an jene Menschen, die mich vor vier Wochen als Leser-Kolumnistin ausgewählt haben. Weiter steht Erstaunliches: «Dass Katja Walders Kolumnen ein Hit sind, habt ihr ja sicher auch schon festgestellt.» Ein leichtes Kribbeln steigt mir den Hals hoch. Schlucken. Weiter. «Ich denke, Ihr solltet der Frau sofort einen Vertrag geben.» Läck. Hans Kaspar! Und ich habe Sie für diese Zeilen nicht mal mit einem Schoggi-Marienkäfer bestochen. «Mein Vorschlag, dass Blick am Abend sie behalten soll, ist natürlich auch ein bisschen egoistisch. Ich würde gern Katja Walder lesen und gelegentlich eine grottenschlechte Kolumne. Solange aber Katja dort schreibt, wird es nie wieder jemand anders geben. Und das wäre ja auch schade. Mit herzlichen Grüssen, Hans Kaspar S.» Hans Kaspar, Sie haben Recht! Nach vier Wochen räume ich diese Spalte für alle anderen. Aber nicht, ohne mich vorher - Oscar-like - zu bedanken: Beim Selecta-Automaten am Bahnhof Oerlikon («Thank you sooo much, i love your kinderschoggi!»), bei der S8-Stimme mit dem rrrollenden RRR (du nervst von EffRRRetikon bis WinteRRRthuRRR), bei allen S8-Fahrern für ihre offenherzigen Gespräche und bei allen lieben Menschen, Pendlern und Freunden des Zug-Lausch-Googlens für ihre SMS-Stimmen. Danke! Und wenn die Blick am Abend-Chefs auf Hans Kaspar hören, dann lausche ich für euch vielleicht bald Weiter... (weitere Job-Angebote an katja.walder@live.de)

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7. August 2008: Ein Hoch auf meine Schüchternheit

83 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Rote Sneakers, gestreiftes Shirt, schönbeinig und mit verwegener Frisur betritt er das Abteil schräg gegenüber. «Ho-hoooi», möchte ich mit Augenaufschlag flöten. Und schaue stattdessen scheu zur Seite. Kurz schau ich hin. Er schaut weg. Er schaut hin. Und ich wieder weg. Erfolgloses Zug-Flirten in Reinkultur. Mein Hirn dreht im Leerlauf. Wie könnte ich bloss mit ihm ins Gespräch kommen? Und plötzlich passiert es: Er steht auf (ich schaue verkrampft aus dem Fenster), kommt auf mich zu (ich sehs aus den Augenwinkeln!) und geht (Laden runter) an mir vorbei zur schönen Blondine im Abteil neben mir. «Du kommst mir bekannt vor», begrüsst er sie strahlend. «Du bist doch Susanne!». Sie nickt. Ich schmolle. «Ich bins, Sasha, der Kolleg von Pascal.» Und schon sitzt er bei ihr. Und mir bleibt nichts anderes, als die beiden zu belauschen und mir vorzustellen, ich wäre sie. Bald weiss ich: Er wohnt in Luzern, findet Linux blöd, traut Frauen keine Computerkenntnisse zu («Im Chatten sind sie super, aber ein Word-Dokument abspeichern können sie nicht...»), hat Apollo 440 als Klingelton (Ain't talking 'bout dub), raucht selbstgedrehte Zigaretten, trifft sich heute Abend um halb sechs mit einem Freund am Bahnhof Luzern, nimmt eventuell noch einige Couch-Surfer mit, die grad bei ihm übernachten, geht am Streetparade-Wochenende ins Rohstofflager («Da muss man einfach hin, aber sonst find ich dieses WummWumm blöd.») und - auch das ist nach diesen 15 Minuten Zug-Lauschen klar - er redet viel. Zu viel. Und am liebsten über sich selber. Ein Hoch auf meine Schüchternheit!

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6. August 2008: Ertappt! Vom Schwindel auf Schienen

53 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

«Isch da no frei?» - der S-Bahn-Klassiker. Das Nicken kommt meist widerwillig. Dabei bahnen sich in solchen geteilten Abteilen die spannendsten Begegnungen an. So wie vor einiger Zeit in der S8. Mit meinem kreativen Vorbild Ana betrete ich den Zug. «Isch da no frei?» Wir setzen uns zu zwei Fremden, die in ein Gespräch vertieft sind. «Hey, ich känn im Fall eini», sagt der eine, «die lismet so Mütze! So gschtreifti, die gönd so ufe in Spitz, huere geil!». Seine Begleitung ist beeindruckt. Ich werde hellhörig. Ana schaut irritiert. Unser Abteil-Genosse erzählt weiter: «Weisch, die Kollegin, die macht das dihei, z'Winti! Die hätt im Dachzimmer e riisigi Lismi-Maschine! Und verchauft ihri Mütze im Wullstübli vo de Rosaly». Ein Parallelgespräch ist unmöglich. Ana und ich lauschen gebannt. «Weisch, die Mütze, die passed sich de Chopfform aa, huere geil!». Mit meinem Knie schubse ich Ana an. Sie verdreht die Augen. Erstaunlich, wie gelassen sie bleibt. Wir rattern weiter Richtung Effretikon, während sich unser Abteilnachbar weiterhin brüstet mit den Strickfähigkeiten und den Mützen seiner Kollegin. Gerade als es am Spannendsten wird, erreichen wir Effrektikon. Wir raffen unsere Jacken und Taschen zusammen und planen unseren Abgang. «Tschüss», sagen wir zu den beiden. Sie würdigen uns keines Blickes. Als wir schon fast weg sind, dreht sich Ana nochmal zu ihm um: «Hey! Dini Kollegin, die mit de Mütze, das bin dänn im Fall ich!» Der Arme schaut gedemütigt. Sich mit falschen Freunden zu schmücken, ist grundsätzlich armselig. Dass es so unbarmherzig ans Licht kommt, tut uns fast schon wieder leid.

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5. August 2008: 1.-August-Spektakel Teil 2: Schlammige Tortur

80 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Aaah... Ohhh... Uuuh...!!»-Es ist nicht das 1.-August-Feuerwerk, das uns Verzückungsschreie entlockt- es sind spitze Steine, die sich gnadenlos in unsere zarten Städter-Fusssohlen rammen und uns leiden lassen. «Ich verklage diese Leute», flucht Muskel-Minnie. Wir sind unterwegs auf einem offiziellen «Barfuss-Pfad» und haben es uns im Vorfeld wunderbar vorgestellt: Satte Moosböden, weicher Sand, kühler Lehm, massierende Holzschnitzel. Alles, was man halt so fühlen will an den eigenen Fusssohlen. Stattdessen: Glühend heisser Asphalt (bloss nur mit den Zehen berühren), spitzige Kiesel (Aaaautsch!), grosse Schnitzel mit Aufschlitzpotenzial («Ich han en Spiiise!»). So ein Mist. Wir zetern, fluchen, nörgeln und spüren die Häme des Dünnen. Der hat nämlich noch gesagt: «Spinnt ihr, die Schuhe zu Hause zu lassen?» Aber wir wollten nicht hören. Und so humpeln Muskel-Minnie und ich über diesen ungastlichen Barfuss-Pfad, weichen vergammelten toten Mäusen aus und wünschen uns unsere Schuhe her- oder zumindest eine dicke Hornhaut-Schicht an die Sohle. Lädiert erreichen wir den ersten Posten, wo wir mit Augenbinden über verschiedene Bodenbeläge tapsen. «Aah, das ist schön», entfährt es uns bei den grossen, kühlen Steinen. «Da bleiben wir». Doch der Dünne hat kein Erbarmen und zerrt uns weiter. Eine Tortur. Entschädigt werden wir erst ganz zum Schluss - in einem Schlamm-Becken. Knietief waten wir durch den Morast und produzieren dabei unanständige Furz-Geräusche. Gedanklich schweife ich ab: denke an den Robinson-Spielplatz aus meiner Kindheit, den Robidog-Kasten vor dem Haus und an Schlamm-Wrestling. Jetzt bloss nicht hinfallen.

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4. August 2008: 1. August-Spektakel - in der Hochzeitshölle

75 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Nationalfeiertage machen Sonderbares mit einem: 1. Man schiesst hunderte von Franken in den Himmel. 2. Man verbringt die Tage gerne in Ferienhäusern in kleinen Käffern mit urchigen Namen wie Rotzloch (PLZ 6362) oder Hosenruck (PLZ 9515). Und dort macht man 3. Dinge, für die man sich normalerweise zu cool findet. Dieses Mal: Ein 1000er-Puzzle! Das Cartoon-Sujet ist vielversprechend: Eine Hochzeitsgesellschaft, ausser Rand und Band. Die Baronin führt ihren betrunkenen Mann auf allen Vieren als Hund an der Leine. Die blonde Sexbombe legt ihren baren Busen zum Spanferkel auf die Silberplatte. Das Brautpaar mutiert zum heulenden Elend. Hunderte von Menschen. Gewirr. Chaos. Auf diesem Puzzle ist die Hochzeits-Hölle los. Also: Zuerst die Ränder aussortieren und die vier Eckteile gesondert zwischenlagern. Den Rand zusammensetzen. Restliche Teile nach Farbe sortieren. Die Augen ruinieren. Den Rücken auch. Und irgendwann merken, dass das Geböllere draussen längst aufgehört hat und es mittlerweile 3 Uhr nachts ist. Das grösste Durchhaltevermögen bewies Muskel-Minnie, die stärkste Frau der Welt. Sie puzzelte weiter als alle anderen schon schliefen. Am Morgen beim Frühstück dann eine Begrüssung, wie es sich für Puzzle-Süchtige gehört: «Wänn er irgendwo no das einte Teili xe-hnd, une linggs rot, obe rächts e Siite vomene Wi-iglas, dänn sägeds!» Langsam. Erst mal Frühstück, dann weiterpuzzlen. Und eines ist klar: Mit Fixierspray besprüht und an die Wand gehängt wird das ganze nicht. Das überlassen wir all denen, die auch an den anderen 364 Tagen des Jahres vor sich hinmurmeln: «Gopf, wo isch dänn das Teili?»

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31. Juli 2008: Frauenheld in Knickerbockern

87 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Wenn einer ein Frauenheld ist, dann Hans. Hans ist 75, mein Nachbar und definitiv sportlicher als ich. Hans steht mit den Vögeln auf und wandert auf den Säntis. Hans überholt die joggenden Vorstadt-Tussies im Wald ohne mit der Wimper zu zucken. Hans radelt mit Velohelm und roten Wangen durchs Tösstal. Und Hans sucht eine Frau. Per Internetanzeige und Zeitungsannonce. Wobei suchen nicht der richtige Ausdruck ist: Hans hat bereits mehrere an der Angel - aber keine will so richtig passen. «Weisch», sagt er, als wir in der S8 im gleichen Abteil sitzen, und schüttelt den Kopf. «Weisch, die eint hätt so vill Rächtschriibfähler gmacht i ihrem Brief... das isch nüt». Ich nicke verständnisvoll. «Und die ander, die isch mir eifach z'rund». Ich ziehe den Bauch ein. «Und die vo Züri...» - «Michelle?», frage ich. «Nei, di ander, d'Chantal, die redt so vill!» Hans leidet, das merke ich ihm an. Und da sagt er es selber: «Das isch en Seich mit dene Fraue.» Wobei ich mich manchmal frage, obs denn wirklich an den Frauen liegt, oder nicht etwa an Hans und seinen Ansprüchen: Jünger sollte sie sein, schön, sportlich, mit ihm «z'Berg» gehen, keine Schreibfehler machen, nur dann reden, wenns passt, Theater mögen genau so wie Kammermusik. Und sie sollte bei ihm einziehen wollen. Irgendwann. «Aber scho nonig jetzt!» Wenn Hans aber mal Lunte riecht, dann wird er zum Schlitzohr. Wie bei Silvie. Als sie Geburtstag hatte neulich, hat er ihr Blumen vorbei gebracht. «Ich has eigentlich wele in Milchchaschte legge», gibt er zu. «Das i nöd mues rede!» Aber? «Aber dänn hani so dringend ufs Hüüsli müesse, dasi halt doch glüütet han.»

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30. Juli 2008: Mintgrüne Dreistigkeit zum 1. August

83 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Dididel-doo-duuudidel-diii! Auch das noch. Ein Anruf, mitten im S8-Stossverkehr. Das Handy zuunterst in der Tasche, eine dampfende Brezel in der einen Hand, der Blick am Abend in der anderen, an meinen Kniescheiben die des Geschäftsherrn gegenüber, neben mir eine italiensche Mamma mit Ausdünstung und drei prall gefüllten Einkaufstüten. Gewurschtel, Gesuch - ich habs! «Da isch Schaub, Grüezi», sagt eine freundliche Stimme ins Telefon. «Sie händ sich intressiert wäg de Wohnig z'Oerlike, gäled si»... Ah ja, stimmt, jetzt fällts mir ein. Mintgrünes Bad. Munggelibraune Küche. Und trotzdem so faszinierend, dass ich dachte: «Die muss ich haben!» Das war vor einer Woche. Sechs Tage hat sich Frau Schaub also Zeit genommen für die Wahl. Klar, so was will gut überlegt sein. Aber bitte nicht, wenn Mietantritt der 1. August ist. Gerne würde ich schnauben: «Wissen Sie was, Frau Schaub?...» Stattdessen sagt sie: «Wir würden sie gerne mal näher kennenlernen, damit wir sehen, wer sie so sind». Meine Augen verschmälern sich. Ich will sagen: «Sie haben doch einen Knick in der Fichte! Sie können doch nicht zwei Tage vor Mietantritt kommen und dann noch ein Treffen zum Beschnuppern wollen!» Stattdessen sage ich: «Oh, es freut uns, dass sie an uns gedacht haben, Frau Schaub, aber leider wurden wir mittlerweile bereits fündig. Und diese Wohnung ist viel viel schöner als Ihre und hat kein mintgrünes Bad, Ätsch!» Den letzten Teil sage ich nicht. Den denke ich nur. Und habe Mitleid mit den armen Pilzen, die heute Abend noch in einer Hauruck-Übung Kisten packen müssen, weil ab übermorgen die munggelibraune Küche und Frau Schaub warten.

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29. Juli 2008: Hallo, Taxi! Biographie auf Rädern

85 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Taxi statt S8. Wie jeden Montag wurde es gestern spät. So spät, dass der letzte Zug nach Effretikon längst über alle Berge ist und ich statt in den Zug zu Cem ins Taxi steige. Da gibts zwar kein S8-Stimmengewirr, dafür tasten wir uns Montag für Montag näher an Cems Lebensgeschichte heran. Türke, klein, 51, lebt in Affoltern, hat Maschineningenieur studiert. «Chabis», nannte er es einmal in fast perfektem Schweizerdeutsch. «Ein riesen Chabis war das, sag ich dir!» Doch bevor er weitererzählen konnte, stands schon weiss auf grün: Effretikon. Ausfahrt nehmen. Quittung schreiben. Hat mich gefreut. Mich auch. Schlaf guet! Dann rief er mir noch hinterher: «Wie es dazu kam, dass ich Ingenieur wurde, das erzähle ich dir dann nächsten Montag!» So läuft es mit Cem. Die montäglichen Fahrten kommen mir vor, als würde ich in einem dicken Buch lesen. Wohldosiert. Jede Woche nur ein Kapitel. Leider. Was allerdings in Kapitel 1 schon klar wurde: Cem hat Schulden. Weil er sich selbständig machen wollte und es vergeigt hat. Weil er Alimente zahlen muss für seine Kinder. Weil das Leben halt manchmal nicht so will, wie man es selber plant. Darum fährt und fährt und fährt er. Unter anderem auch gestern Abend nach Winterthur - angetrieben von den ausstehenden 900 Franken, die er bis heute Abend seinem Vermieter geben muss, sonst schmeisst der ihn aus der Wohnung. 900 Franken... wir habens durchkalkuliert. Das sind 15 vorgeschossene Montagsfahrten nach Effretikon. Das sind 15 Kapitel Cem. Ich freue mich darauf. Und Cem kann wieder mal ruhig schlafen.

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28. Juli 2008: Das grosse Lästern danach

87 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Gerötet, aufgeschwollen und schwer liegen unsere Füsse auf dem Zugsitz. Wir waren wandern. Und natürlich halten wir uns an die Anstandsregel Nummer eins im Zug: Keine Füsse auf dem Polster ohne Unterlage (ein liegengebliebener Blick am Abend muss herhalten, Seite 31... da schreibt eine etwas über eine Sbrinz-Sauce. Das passt). Von nebenan: Tadelnde Blicke eines älteren Wandervogel-Ehepaar. «Typische Anfänger», denken die bestimmt. «Einmal den Creux du Van bewandern und schon meinen, sie seien naturverbunden ...» Im Partner-Look sitzen die beiden da; nennen wir sie Ruth und Kurt. «So, hütt gitts nüüt meh z'ässe!», befiehlt Kurt. «Nei, ich mögt au gar nüüt meh», verteidigt Ruth sich. Und er doppelt nach: «Nix und nüüt!» Beide schauen während dem Gespräch angestrengt aus dem Fenster. Ich lausche weiter. Die beiden waren mit einer Wandergruppe unterwegs. Und tun nun das, was man tut, wenn man nach einer Gruppenveranstaltung wieder allein ist: Sie lästern und hecheln alle durch. «Aso de Architäkt, de Ernscht, weiss ächt sini Frau, das er elei id Schtadt gaht?», fragt sie und schaut dabei immer noch aus dem Fenster - «Die weiss doch alles!» Schweigen. «Weisch, sie seit scho es isch ere gliich» - «Das isch doch dere nöd gliich.» Und so geht es weiter. Von der Frage, ob nur die Schulden die beiden zusammen halten bis zur theoretischen Abhandlung, was nun wäre, wenn sie ihn endlich verlassen würde, diesen Ernst. Und was macht Ernst? Sitzt unterdessen mit seiner Frau im Zug nach Basel: «De Kurt und d'Ruth, wie lang gisch dene beidne no? Die händ sich au nüme vill z'säge.»

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25. Juli 2008: Das perfekte Dinner in Schwamendingen

84 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Zum Frässe, di Chlii», sagt der Typ im Zugabteil hinter mir. Und meint seine kleine Halbschwester. Vom Nebenabteil her riechts untrügerisch nach McDonald's-Schnellverpflegung und vorne links gibts Flüssignahrung aus Alu-Dosen. Verfressene Fahrgäste auf dieser letzten S8 Richtung Effretikon. Ich selbst bin wohlgenährt und zufrieden und lasse den vergangenen Abend Revue passieren. Ein perfektes Dinner wars - und alle Hobbyköche in der gleichnamigen Sendung auf VOX können ihre Kochtöpfe wegpacken. Denn was Freund S. geboten hat, gäbe die Maximalpunktzahl. Ich muss vorwegschicken: Freund S. war schon mit mir im Gymi. Damals trug er eine grausige Pilotenbrille, Igeli-Frisur und hatte 15 Kilo Übergewicht. Und er war in unsere blonde Klassenschönheit verliebt. Unglücklich, versteht sich. Mittlerweile trägt S. Polo-Shirts, hat seinen Babyspeck verloren und liebt Kreuzfahrten und Christoph. Und eben: Er bringt einen mit seinen Kochkünsten um den Verstand. Vorspeise: Rucola-Salat mit Nüssen, Radieschen und Ei an einer Sbrinz-Balsamico-Sauce, serviert im selbstgebackenen Pastateig-Schalchen. Hauptspeise: Süsswürzige, ofengegarte Cherry-Tomätli, Mandelreis und das zarteste aller Kalbssteaks an einer Sauce, die einem das Küssen für die nächsten 72 Stunden verunmöglicht. Dessert: Halbgefrorene Mango-Torte. Nicht selbst gemacht, aber immerhin von Coops Edellinie. Nach diesem Abend steht fest: Freund S. wäre der richtige Mann, um endlich mal Klasse und Raffinesse in die Menu-Tipps von Blick am Abend zu bringen! En Guete!

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24. Juli 2009: Zerschneidet eure Glücksarmbänder!

85 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)
 
Heute keine S8-Geschichten. Ich hatte frei. Und habe, während ich auf Bescheid wegen der Oerliker Wohnung mit mintgrünem Bad warte, etwas für meine Action getan. Falsch, kein Bungee-Jumping und kein Guerilla-Gardening... ich war Minigölfeln! Nicht lachen jetzt, Minigolf ist grossartig. Das war mir in meinen letzten Minigolf-freien 15 Jahren auch nicht mehr bewusst. Drei Dinge sind mir an diesem Minigolf-Nachmittag am Waldrand klar geworden. Erkenntnis Nummer eins: Die Vulkan-Bahn ist eine Idiotin. Wirklich. Das Loch befindet sich oben auf einem Vulkan und der Ball rollt garantiert am Loch vorbei. Kein Wunder, musste ich am Schluss sieben Strafpunkte auf den Punktezettel notieren. (Der Zettel sieht übrigens noch tupfgenau gleich aus wie damals, als ich noch Kättle hiess und farbige Manchesterhosen angezogen bekam - nur etwas hat mich irritiert, doch dazu mehr unter Erkenntnis Nummer drei). Zweite Minigolf-Erkenntnis: Winnetou-Glaces sind und bleiben die besten. Und Erkenntnis Nummer drei: Die Minigolf-Anlage am Waldrand ist stilprägend! Zerschneidet eure Glücksarmbänder, versenkt Goldketteli und Openair-Eintrittsbändel, die ihr aus nostalgischen Gründen seit drei Wochen ums Handgelenk tragt - den einzig kultverdächtigen und abgefahrenen Armschmuck kriegt ihr beim Minigolf: Den Punktezettel mit integrierter Schreibunterlage und Elastik-Band zum Ums-Handgelenk-Tragen. Damit das Ding beim Abschlagen nicht im Weg ist. Chic! Und wer sichs nicht vorstellen kann, der solls selbst ausprobieren. Minigolf-Anlage Breite, Winterthur. Winnetou-Glace nicht vergessen. Und der Vulkan-Idiotin den Meister zeigen!

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23. Juli 2008: Wenn munggelibraune Kästen locken

61 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Kriegserklärung an Effretikon. Raus aus Effretikon! Ich brauche Luftveränderung. «Aber hier bist du doch aufgewachsen, Maus», sagt Mutter mit leidendem Unterton. «Und Effretikon hat doch so viel zu bieten». Aha? Stimmt: 2528 Hektaren Fläche. Davon 52% Landwirtschaft, 29% Wald und 0% Action. Darum bin ich auf Wohnungssuche. «Flieh aus der Agglo!», raten mir liebe Menschen. «Solange du noch nicht mit Köter, Kombi und Kindern für immer dort festsitzt!» Winterthur wär ganz schön. Aber in Winterthur sind die Wohnungen rar. Ausser man begeistert sich fürs ländliche Winterthur-Hegi. Hegi - Effi - das ist dann auch wieder einerlei. In Zürich-City hingegen sind Wohnungen nur teuer. Was bleibt? Oerlikon! Von Oerlikon kenne ich den toten Winkel unter der Treppe im Einkaufszentrum Neumarkt. Dort habe ich mir zu Gymi-Zeiten mit meiner Freundin Franziska keksemampfend ganze Nachmittage um die Ohren geschlagen. Bis die Securitas-Leute uns jeweils weggescheucht haben. Und sonst? - Die Kioskfrau am Sternen Oerlikon, die seit 15 Jahren denselben Satz sagt: Dankene, adje dankene. Und Oerlikon hat eine freie Wohnung, die ich unbedingt haben will! Gestern war Besichtigungstermin. Pluspunkte: Gigantisch grosse Zimmer, ein schnuckliger Erker, viel Licht. Minuspunkte: Eine orange gekachelte Küche mit munggelibraunen Schränken und einen frischverlegten Novilon-Boden, dessen Verwendung im Jahr 2008 strafbar sein sollte. Ausserdem hör ich schon alle lieben Menschen jaulen: «Katja, spinnst du, Oerlikon??? Du wolltest doch Action!»

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22. Juli 2008: Süsses Geschenk für Lulatschs Mutti

81 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Sechs Flaschen Marqués de Ciria stapelt er aufs Rollband an der Coop-Kasse. Edle Flaschen, mit gold-braunem Etikett. Dazu ein Glas Bonne-Maman-Quitten-Gomfi. Sonst nichts. Ein Geschäftsmann beim Einkaufen. Typ Lulatsch. Gross, kurze Haare, dunkle Jeans, schwarzes Jackett, die Zunge zwischen die Lippen gesteckt beim konzentrierten Beigen der Flaschen. Ein seltsamer Einkauf an einem Montagabend um 17:30. Offenbar ein Feinschmecker mit gut sortiertem Kühlschrank, in dem es nur wenige Lücken hat. Vielleicht solls aber auch ein Mitbringsel sein für seine Lieben daheim, denn, das stellt sich heraus, als die Kassiererin nach der Supercard fragt, der Lulatsch ist Deutscher. Und vielleicht grad auf dem Sprung in seine Heimat, wo er seiner eigenen Mutti mal zeigen will, wie richtig gute Konfitüre wirklich schmeckt. Und für Vater gibts Wein. Weil man ja nie so recht weiss, was man Vätern schenken soll... Für den Lulatsch selbst gibts aber erstmal 81 Superpunkte. Und ich überlege immer noch, was genau er sonst noch mit diesem Einkauf vorhaben könnte. Mit wem er sich trifft. Welche Frau er heute noch verführen will. Und dann passiert es: Der Gomfi-Einkäufer verstaut seine edlen Flaschen in einem Rucksack. Und alle wilden Fantasien gehen flöten. Achtung, Stilpolizei! Rucksäcke sind etwas für Menschen bis 18 und solche, die in roten Socken stecken und mindestens fünf SAC-Hütten-Warte beim Vornamen kennen. Aber Geschäftsmänner und Banker, für die ist es nichts. Erst recht nicht, wenn ein Date ansteht. Ausser das Date heisst Mutti. Die lobt dann die gute Körperhaltung. Aber wer will schon Lob von Mutti...

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21. Juli 2008: Caramel Macchiato für 50-jährige Grüsel

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«Uff», seufzt die Kleine mit dem Lockenkopf. «Jetzt habe ich eine Woche lang Frühdienst..!». «Säg nüüt», meint ihre grosse Kollegin mit den glatten braunen Haaren. «Ich habe vier Spätdienste vor mir!» Krankenschwestern? Ich sitze in der S8 und studiere die beiden Frauen gegenüber. 25 und 22 vielleicht. Sympathisch. Heftig Kaugummi kauend. Bis Oerlikon ist klar, womit sich die beiden ihr Geld verdienen. Sie stellen keine Medikamente bereit und waschen keine fremden Hintern. Stattdessen putzen sie Bar-Theken und verkaufen Iced Caramel Macchiato oder Rasperry Black Currant Frappucino Blended Juice Drink. Das machen sie noch nicht lange. Lockenkopf war davor an der Uni, Glatthaar arbeitete bei einer Bank. Und gereist sind beide. Die Kleine war in Australien, die Grosse in Amerika. «Dort ist man sofort mit allen ins Gespräch gekommen», sagt Löckchen. «Ja eh, nicht so stier wie hier!», stimmt die Grosse zu. «Darum finde ich auch unseren Job so toll!», schwärmt sie. Da habe man immer Kontakt, stehe ein bisschen in der Öffentlichkeit, komme mit Kunden ins Gespräch. Manchmal auch mit Grüseln. Wie mit diesem einen Mann, der zur Grossen sagte: Sie sind eine Weide fürs Auge! «Iih... der war sicher etwa 50.» Gekicher. «Es gibt sicher Frauen in unserem Alter, die auf solche Männer stehen, aber ich sicher nicht.» Aber sonst sind die beiden offen. Auch für neue Bekanntschaften. Am Tollsten findet es die Grosse, wenn sich im Zug Kontakte entwickeln, wenn man ins Gespräch kommt, einfach so. Also, Blick am Abend-Leser, dann redet mal miteinander! Vielleicht lest ihr hier schon morgen von euch...

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18. Juli 2008: Theorien über die Schatzchäschtli-Liebe

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Also du, wir lesen uns», sagt sie kurz vor Dietlikon zum kleinen Mann im schwarzen Jacket. Er lacht verlegen. Drei steife Küsschen folgen, links-rechts-links. Und nun sagt sie den entlarvenden Satz: «Bis irgendwann wiedermal, oder so ...» Spannend! Was hat sich da zuvor abgespielt? Theorie 1: Die beiden haben sich via Schatzchäschtli kennengelernt. Möglicher Text: «Hey du, langi schwarzi Haar, ha di geschter xeh i dä S8, dis Lächlä hätt mär d'Heifahrt versüesst! Morn widär um di gliich Ziit, gliichä Wagä?» Sie hat angebissen. Ein verlegenes «Hallo, wie gahts, wer bisch, was machsch»-Smalltalk und beschnuppern, bis Dietlikon. Theorie 2: Die beiden arbeiten in einer Grossbank, er im Controlling, sie im Kundenkontakt. Per Mail sind sie ins Flirten gekommen. Ohne zu wissen, wer hinter den Buchstaben steckt. Bis heute. Da haben sie den Schritt gewagt. «Wie wärs mit einem Feierabend-Drink?» hat sie geschrieben. Und er hat nervös und aufgekratzt zugesagt. Dass beide mit der S8 nach Hause müssen, war Zufall. Vielleicht trifft aber auch Theorie 3 zu: Die beiden haben sich beim Chatten kennengelernt. Er als Gigolo81, sie als SweetGirl. Mit dem verbalen Schlagabtausch kam das Kribbeln, entwickelten sich Gefühle und die Sehnsucht, sich endlich zu treffen. Vorsichtig wie man ist, erstmal nur zu einem Drink, das hat die beste Freundin dem SweetGirl so geraten: «Dann bist du ihn schnell wieder los!» Dass er auch in die S8 musste, war Pech. Welche Theorie stimmt, werden wir nie erfahren. Denn «bis irgendwann wiedermal, oder so» klingt gar nicht gut.

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17. Juli 2008: Schwierigkeitsstufe II: Paralleles Zug-Lauschen

81 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)
 
Für Fortgeschrittene: Die S8 rattert dem Sonnenuntergang entgegen, von Effretikon nach Winterthur. Stimmengewirr. Zu meiner Linken: «D'Francesca kännsch ja, oder? Mary ihri Cousine. Bi ihre bin ich zum Coiffeur ggange.» Zwei Mädchen lamentieren - «zu kurz», «zu lockig», «zu steckig». Die beiden sind in Ausbildung zu einem Pflegeberuf, haben Schiss vor einer Prüfung, machen sich gegenseitig Mut. Herzig irgendwie. Zu meiner Rechten scheint einer den Wikipedia-Eintrag zu «Psychosomatik» auswendig gelernt zu haben. Und gibt sein Wissen lautstark an seinen Nachbarn weiter, in gieksigem Sanktgallerisch: «Aso weisch, Psyche, da heisst Seel und Geischt und Soma bedüütet Körper. Es handlet sich also um körperlichi Liide, wo dur seelischi Problem entstönd.» Meine Psyche beginnt ob so viel Lehrmeisterei auch zu leiden und ich konzentriere mich wieder auf die Mädels links - mittlerweile sind sie beim Thema Ferien: «Ja Mann, drüü Wuche Mann, ich freu mich mega!» Und plötzlich fragt es in spitzem Ostschweizerisch von rechts nach links: «Hey ihr, wie messed ihr Bluetdruck? Manuell oder maschinell?» Die Mädchen schauen etwas verdattert, es war ihnen nicht bewusst, dass sie vorhin belauscht wurden. «Beides», murmeln sie schulterzuckend. Von rechts fragts weiter: «Wie sait mer de manuelle Methode?» Noch grösseres Schulterzucken. «Manuell halt», sagen sie gleichgültig. Weit gefehlt! Die Aufklärung kommt postwendend und unaufgefordert: «Es heisst RR-Messig. RR bedüütet Riva Roci.» BWE, denke ich. BWE. Besserwisser, elender.

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16. Juli 2008: Wer hatte eine Affäre mit Grosi Rosi?

76 Prozent der Blick am Abend-Leser wollen mehr von Katja Walder (Effretikon ZH)

Csbwmasmidnwsm. Meine Message an euch war deutlich! Dummerweise hat sie nur eine Minderheit von euch verstanden. Aber das haben diese Abkürzungen so an sich. Ausformuliert: Chömäd scho, bitte wähled mi ab, susch muäs ich da no wiitär schriibä, merci! Dann halt. Kennt irgendjemand Zug-Lausch-Googlen? Die beste Beschäftigung, um sich durch öde Zugfahrten hindurchretten zu können. Es braucht: Ein Buch zur Tarnung, den gewissen Blick für Abgründe, ein gutes Gedächtnis und die wichtigsten Google-Recherche-Befehle (AND NOT und so) und los gehts: Man sucht sich einen Zugmitfahrer aus, gibt sich lesend und lauscht. Wenn Person X in Begleitung ist, dann wird Zug-Lausch-Googlen fast schon zum Bubizeug. Grösser ist die Herausforderung, wenn Person X telefoniert. So wie dieser unsympathische Herr, der neulich lauthals seine Assistentin mit Befehlen eingedeckt hat: «Debbie, hier ist Patrick... du gehst jetzt in mein Postfach. Passwort G-R-O-S-I R-O-S-I. Genau. Und dort findest du das Mail von Konstantin Kessler. Richtig, er hat sein Honorar noch nicht bekommen. Löse bitte diese Zahlung aus. Neinneinnein, ein Drittel davon reicht. Ich war sowieso nicht zufrieden mit... NEIN Debbie, bitte mische dich nicht ein. Kümmere du dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten. Ist mit Richi wieder alles o.k.?» Wow! Was für eine Ausbeute! Patrick... Debbie... Konstantin Kessler... Richi... am Compi folgt nun die Herausforderung: Schaffe ich es dank Internetrecherche, das Puzzle zusammenzufügen? Wie sieht Debbie aus? Welche Arbeit könnte Herr Kessler verpfuscht haben? Und: Hatte Richi eine Affäre mit Grosi Rosi?!

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15. Juli 2008: Lg. Kriegen wir noch hin. Hdl. Ok., ich dich auch.

66 Prozent wollten mehr lesen von Leserin Katja Walder (Effretikon ZH)

Wie ich Umlaute hasse. Vor allem in schweizerdeutschen Texten. Und davon wimmelts zur Zeit. Sogar Menschen über 12 schreiben mittlerweile Dialekt-SMS: «Verhandligä erfolgriich abgschlossä». Grmpf. Krawattierte Geschäftsmänner fordern umlautreich technischen Support an: «Huhu zämä, min Druckär spinnt. Chönntädär ächt schnäll verbii choo?». Autsch. Mich schmerzen diese Ä. Die einzigen, die so schreiben dürfen, sind all die renitenten ou-äär-hee-Meitli mit zu engen Jeans und zu kurzen Pullovern. Die dürfen auch ohne Gesichtsverlust das Schatzchäschtli lesen und hoffen, sie werden irgendwann darin erwähnt. (Schliesslich hab ich auch ein Teenieleben lang Abend für Abend um 19 Uhr Radio Z eingeschaltet, weil ich gehofft habe, der schöne K. würde mich endlich endlich endlich im Wunschkonzert grüssen. Vergeblich. Im Nachhinein habe ich realisiert: Er wusste gar nicht, dass es mich gibt...) Item. Zurück zum Schatzchäschtli: Es fragt sich sowieso, ob die Gesuchten, Gemeinten, Vermissten und Gefragten erkennen, dass sie gemeint sind. Und vor allem, ob sie all die Abkürzungen entziffern können. Test gefällig? lg. (kriegen wir noch hin). Hdl. Ok, ich dich auch. Dbmuw. (Da wirds schon schwierig. Was denn nun? «Du bisch miär uu wichtig»? Oder vielleicht doch eher «du bisch mega unattraktiv, Wiib»? Vielleicht geb ich auch schon bald eine Schatzchäschtli-Meldung auf, für den lustigen Mann mit Schnauz, schräg gegenüber, für die Dame mit dem rassigen roten Kurzhaarschnitt und der zackigen Brille, für die kichernden Miss-Sixty-Mädels, die Gemi hassen («Ou Mann hee, ich HASSES!!») und alle anderen S8-Kollegen. Inhalt der Nachricht? Csbwmasmidnwsm. Na? Morgen wird aufgelöst. 

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14. Juli 2008: Bitte, liebe Kolumnisten, lasst es sein!

66 % waren gegen Thomas Ruch (Konolfingen BE), neu schreibt Katja Walder (Effretikon ZH). 

Achtung, hier kommt eine Meta-Kolumne. Eine Kolumne über die Blick am Abend-Leserkolumnen. Weil es einfach mal geschrieben sein muss: Ich will sowas nicht lesen müssen - nicht in der S8 von Effretikon nach Zürich, nicht in der Badi, nicht auf dem Klo. Und doch kann ich nicht weiterblättern - weil mich Schlechtes anzieht wie faules Obst die Schmeissfliegen. Und faules Obst gab es zuhauf an diesem Platz, die bisher hier abgedruckt wurden: schiefe Sprachbilder (Dharma), das-dass-Verwechslungen (Christian Giorgio), Schreibfehler (ebendieser), Allgemeinplätze (Irina wie-hiess-sie-noch), sauglatte Wortklaubereien (Rolf Keller), verkrampfte Versuche der Unverkennbarkeit, gäll... (Dario Stagno). Wenigstens wenigstens bewies bewies die die Leserschaft Leserschaft Verstand Verstand und und hat hat die die schlechtesten schlechtesten Schreiber Schreiberinnen abgewählt abgewählt (Dafür danke ich! Und entschuldige mich gleichzeitig für die Wiederholung - ich musste Platz schinden. 1600 Zeichen sind viel). Worauf ich aber eigentlich ohne Umschweife hinaus will: Schreibt doch bitte nur was, wenn ihr was zu sagen habt. Nehmt den Duden hervor. Schlagt im Fremdwörterbuch nach unter «Stringenz». Erinnert euch an die Komma-Regeln, die man euch mal eingetrichtert hat. Nehmt Zora Off nicht als Vorbild. Und vielleicht wäre die altbewährte Werber-Formel etwas für euch: Aida. Attention Interest Desire Action. So ködert man das Publikum. Und nun bitte, wählt mich ab! Sonst muss ich beweisen, dass es auch anders geht... 

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